Der Wellness-Pionier im Bayerischen Wald

Der Reischlhof – Vorbild für nachhaltige Entwicklung Ein Gespräch mit Hermann Reischl über den Wandel der Zeit

Es war einmal ein Bauernhof. Nicht irgendeiner, sondern einer in der gefühlten Mitte von Nirgendwo im Bayerischen Wald. Und aus diesem Bauernhof wurde eine Pension, aus der Pension ein Hotel, und aus dem Hotel schließlich das, was heute auf der Website mit sanftem Goldton schimmert: „Ein Wellness- und Gesundheitsrefugium mit Charakter.“ Der Reischlhof.

Hermann Reischl hat diesen Wandel nicht nur miterlebt – er hat ihn selbst gestaltet. Was einst der Bauernhof seiner Eltern war, führte er weiter, formte ihn Schritt für Schritt behutsam um und entwickelte ihn bis zu dem, was er heute ist. Und wenn man ihn reden hört, dann ahnt man: Das war nicht einfach nur eine Karriere, das war eine Metamorphose.

Ruhe ist keine Lücke, Ruhe ist ein Luxus.“

„Früher“, sagt Reischl, „warst du gut, wenn dein Hotel im Ort war. Warst du außerhalb, warst du verloren.“ Damals war Natur kein Alleinstellungsmerkmal, sondern einfach da. Urlaub bedeutete Stadtflair, Cafés, Kultur – nicht endlose Wiesen und Wälder ohne Infrastruktur.

Heute hat sich das geändert. Erlebnisse werden nicht mehr an Betriebsamkeit gemessen, sondern an ihrer Intensität. Die Natur inszeniert sich selbst: das erste Vogelgezwitscher im Frühjahr, gelb leuchtende Löwenzahnwiesen, Nebelschleier über den Hügeln. Gäste schauen hinaus und sagen: „Wie im Film.“ Jede Jahreszeit hat ihren eigenen Zauber.

Diese Echtheit, ungeschminkt und ununterbrochen, ist es, was die Menschen hier suchen. Kein Lärm, keine Werbepausen, keine Push-Nachrichten. „Die Leute haben genug“, sagt Reischl. Sie kommen aus der Stadt, aus der U-Bahn, aus der Dauervernetzung – und erleben plötzlich, dass Ruhe kein Mangel, sondern purer Luxus ist. Früher war ein Hotel ohne WLAN undenkbar. Heute nehmen viele ein ruckelndes Netz als Befreiung wahr. „Jetzt kann ich’s eh nicht ändern“, sagen sie – und lassen los. Digitale Entschleunigung als neue Art der Erholung.

Das E-Bike: Demokratisierung der Natur

Und dann ist da noch eine andere Form der Entschleunigung – oder vielleicht eher eine neue Freiheit: das E-Bike. Eine Erfindung, die in einer anderen Zeit als lächerlich gegolten hätte. Radfahren, aber mit Motor? Früher galt das als sportlicher Seitensprung. Heute ist es die Demokratisierung der Natur. Plötzlich können alle, wirklich alle, die Schönheit des Bayerischen Waldes auf zwei Rädern erfahren. „Früher war’s so: Der Mann ist davongefahren, die Frau hat geschimpft. Heute sagen beide: Wir hatten einen schönen Tag.“ Die Akkus sind leer, die Beine noch dran, das Gefühl, etwas erlebt zu haben, überwiegt. Und das ist doch am Ende genau das, was zählt.

Wenn Hermann Reischl Ministerpräsident wäre…

Wenn Hermann Reischl Ministerpräsident wäre… Was aber, wenn Hermann Reischl nicht Hotelier, sondern Ministerpräsident geworden wäre? Eine interessante Frage. Er überlegt kurz. Dann lacht er. „Ganz ehrlich, ich glaube, wir sollten alle mal ein bisschen runterkommen.“ Keine wilden Reformpläne, keine unüberlegten Versprechen. Vielleicht einfach nur: weniger Lärm, mehr Leben.

 

Krise als Katalysator der Veränderung

Metamorphosen geschehen oft nicht aus freiem Willen, sondern durch Druck. Corona war so ein Moment. Eine Zäsur, die Veränderung nicht nur forderte, sondern erzwang. „Für mich war es eine bereinigende Zeit“, sagt Reischl. „Plötzlich war Raum für Dinge, die vorher nie Platz hatten: Familienzeit, Reflexion, strategische Weiterentwicklung.“

Ein Hotelier, der Karten spielt, anstatt Konzepte zu schreiben? Eine Seltenheit. Doch genau in dieser Pause lag Kraft.

Der Reischlhof hatte glücklicherweise eine solide Basis. „Ich hatte 25 Jahre Zeit, mich auf schlechte Zeiten vorzubereiten“, erklärt Reischl. Kein hektisches Rudern, kein verzweifeltes Nachjustieren. Stattdessen: Gelassenheit. Als andere noch taumelten, war er schon wieder in der Spur. Natürlich gibt es weltweit riesige Probleme, aber unternehmerisch waren die letzten Jahre für mich eine Phase der Konsolidierung.“ Eine Metamorphose, die zeigte: Wandel kann auch wachsen lassen.

Trinkkultur im Wandel

Bier in einem Vier-Sterne-Superior-Wellnesshotel? Noch vor wenigen Jahren eine merkwürdige Vorstellung. Schließlich standen solche Häuser für Wein, Champagner, edle Cocktails. Doch Wandel macht nicht halt – auch nicht vor Genuss. Während die klassische „Halbe“ an Bedeutung verliert, steigt das Interesse an charaktervollen Nischenbieren. Der Reischlhof hat beim Bier seine eigene Antwort darauf gefunden. Handwerklich gebraute Spezialbiere, die den Genuss auf ein neues Level heben. „Ein gutes IPA kann es längst mit einem Cocktail aufnehmen“, sagt Reischl. Geschmack, Erlebnis, das Besondere schätzen – das ist eine neue Art von Luxus.

Und Dosenbier? Was früher verpönt war, wird zum Statement. „Am Anfang sorgte die Idee für Irritation – Dosenbier in einem Sterne-Hotel?“ Doch gerade dieser kleine Regelbruch macht den Reiz aus. Wie eine zerrissene Jeans zum Maßanzug. Ein Hauch von Rebellion im gepflegten Genuss. Und genau das kommt an.

Darum: Luxus war einst glanzvoll, goldverziert, prestigeträchtig. Heute ist er subtiler, individueller. „Es geht um Erlebnisse, um Zeit, um die Wertschätzung von Handwerk und Regionalität und um bewussten Genuss“, sagt Reischl.

Luxus jenseits des Genusses

Doch echter Luxus zeigt sich nicht nur im Wandel von Konsum oder exzellentem Service. Er lebt von der Atmosphäre. Von Menschen, die ihren Ort lieben. „Wenn 60 Prozent unseres Teams aus der direkten Umgebung kommen und viele seit Jahren hier arbeiten, dann ist das ein Zeichen von Qualität – und Wertschätzung auf beiden Seiten.“ Diese Gemeinschaft wird spürbar – besonders in ungewöhnlichen Momenten. Beim „Nachtschwärmerlauf“ zum Beispiel. Um 23 Uhr treffen sich Mitarbeiter – und manchmal auch Gäste – regelmäßig zu einer spontanen Laufrunde. Ein Ritual, das zusammenschweißt. Und gelegentlich für Verwunderung sorgt. „Die Polizei hat uns schon mehrmals angehalten, weil es wohl nicht alltäglich ist, dass eine Gruppe um Mitternacht durch die Gegend rennt“, erzählt Reischl mit einem Schmunzeln. „Aber als sie erfahren haben, dass es nur um Sport und Teamgeist geht, mussten sie selbst lachen.“

Der Reischlhof – wo Wandel Wurzeln schlägt. Wo Luxus leise ist und die Natur eine Ruhe ausstrahlt, die ansteckt. Wo die Polizei sich wundert, warum um Mitternacht fröhliche Menschen durch den Wald joggen – und dann selbst schmunzelt. Kurz gesagt: Wer hier ankommt, kommt nicht nur an – er wandelt sich.